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Tee und Teeschale: Kultur als Gefäß für die Weisheit

Dzongsar Jamyang Khyentse Rinpoche

Dzongsar Jamyang Khyentse Rinpoche

Auszug aus dem Buch »Weshalb Sie (k)ein Buddhist sind«

Die vier Siegel¹ sind wie Tee, während alle anderen Mittel zur Verwirklichung dieser Wahrheiten – Praktiken, Rituale, Traditionen und kulturelles Drumherum – wie die Teeschale sind. Die Fähigkeiten und Methoden lassen sich beobachten und anfassen, nicht aber die Wahrheit. Die Herausforderung besteht darin, sich nicht total von der Teeschale einnehmen zu lassen. Im Allgemeinen sitzen die Menschen lieber an einem ruhigen Ort aufrecht auf einem Meditationskissen, als zu kontemplieren, was wohl als Nächstes kommt: – der morgige Tag oder das nächste Leben. Äußerliche Praktiken sind sichtbar, und so ist der Geist geschwind dabei, sie als Buddhismus zu bezeichnen, wohingegen das Konzept „alle zusammengesetzten Dinge sind vergänglich“ nicht greifbar und schwer zu benennen ist. Ironischerweise sind wir ständig von Beweisen für die Vergänglichkeit umgeben, doch sie sind uns nicht augenfällig.

Die Essenz des Buddhismus liegt jenseits von Kultur, doch er wird in vielen verschiedenen Kulturen praktiziert, die ihre Traditionen als eine Schale benutzen, die die Lehren enthält. Wenn dieses kulturelle Drumherum anderen Wesen hilft, ohne ihnen zu schaden, und wenn es nicht den vier Wahrheiten widerspricht, dann würde Siddhartha solche Praktiken befürworten.

Im Lauf der Jahrhunderte sind viele unterschiedliche Arten und Stile von Teeschalen produziert worden, aber so gut die Absicht, die dahinter steht, auch sein mag – sie werden zu einem Hindernis, wenn wir den Tee darin vergessen. Obwohl ihr Zweck darin besteht, die Wahrheit zu enthalten, neigen wir dazu, uns eher auf die Mittel zu konzentrieren als auf das Ergebnis. Und so laufen die Leute mit leeren Tassen umher oder vergessen, ihren Tee zu trinken.

Wir Menschen können uns von den Zeremonien und Farben buddhistischer kultureller Praktiken verzaubern oder doch zumindest ablenken lassen. Räucherwerk und Kerzen sind exotisch und anziehend, Vergänglichkeit und Ichlosigkeit sind es nicht. Nach Siddhartha ist die beste Art zu beten, wenn man sich einfach an das Prinzip der Vergänglichkeit erinnert und daran, dass Gefühle Leiden sind, dass Phänomene keine eigenständige Existenz besitzen und dass Nirwana jenseits von Konzepten ist.

Auf einer oberflächlichen Ebene kann der Buddhismus rituell und religiös wirken. Buddhistische Praktiken wie das Tragen von rotbraunen Roben, Rituale und rituelle Objekte, Räucherwerk und Blumen, ja sogar Klöster haben eine Form – sie können beobachtet und fotografiert werden. Wir vergessen, dass sie ein Mittel zum Zweck sind. Wir vergessen, dass man nicht zu einem Anhänger Buddhas wird, indem man Rituale vollführt oder ein bestimmtes Verhalten annimmt, wie etwa vegetarisch zu essen und Roben zu tragen.

Doch der menschliche Geist liebt Symbole und Rituale so sehr, dass sie beinahe unvermeidlich und unerlässlich sind. Tibetische Sand-Mandalas und japanische Zen-Gärten sind wunderschön; sie können uns inspirieren und sogar ein Mittel zum Verstehen der Wahrheit sein. Die Wahrheit aber ist weder schön noch unschön. (…)

Anders als andere Religionen ist der Buddhismus kein Notkoffer für das Leben, dessen Inhalt uns vorschreibt, wie viele Ehemänner eine Frau haben oder wohin man seine Steuern zahlen oder wie man Diebe bestrafen sollte. Genau genommen gibt es im Buddhismus nicht einmal ein Ritual für eine Hochzeitszeremonie. Der Sinn von Siddharthas Lehren bestand nicht darin, den Leuten zu erzählen, was sie hören wollten. Er lehrte aus dem starken Impuls heraus, andere von ihren falschen Vorstellungen und endlosen Missverständnissen der Wahrheit befreien zu wollen. Um jedoch diese Wahrheiten effektiv erklären zu können, bediente er sich beim Lehren verschiedener Methoden und Hilfsmittel, je nach den Bedürfnissen seiner verschiedenen Zuhörer. Diese verschiedenen Lehrmethoden werden heute als verschiedene „Schulen“ des Buddhismus bezeichnet. Die grundlegende Sicht ist aber für alle Schulen dieselbe.

¹ Die vier Siegel, auf denen alle Erklärungen im Buddhismus basieren:

  • Alle zusammengesetzten Dinge sind vergänglich
  • Alle Gefühle sind Schmerz
  • Alle Dinge haben keine eigenständige Existenz
  • Nirwana ist jenseits von Konzepten

Quelle:

Auszug aus Dzongsar Jamyang Khyentse, „Weshalb Sie (k)ein Buddhist sind, mit freundlicher Genehmigung des Windpferd Verlages

Weitere Infos über den Autor und seine Aktivitäten finden Sie über www.siddharthasintent.de.