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Die Bedeutung von Vertrauen im Buddhismus

Geshe Thubten Ngawang

Schlange: Du musst mir vertrauen …

Der Autor nennt drei Arten des Vertrauens: von der anfänglichen Bewunderung über die aus Begründungen entwickelte Überzeugung bis hin zum strebenden Vertrauen, das die heilsamen Qualitäten selbst verwirklichen möchte.

„Vertrauen ist die Grundlage für alles Heilsame“

Vertrauen ist grundlegend für unser Leben und für unsere spirituelle Entwicklung. Der indische Meister Asanga nennt 51 Geistesfaktoren, darunter elf heilsame. Hier steht das Vertrauen am Anfang, es ist die erste heilsame Eigenschaft, die er nennt. Das ist kein Zufall, denn sie bildet die Grundlage für alle weiteren, für alles, was wir auf dem buddhistischen Weg erreichen wollen.

„Vertrauen geht allen tugendhaften Handlungen wie eine Mutter voran. Es beschützt und vermehrt alle nützlichen Qualitäten, es vertreibt Zögern und rettet uns vor den vier Flüssen. Vertrauen ist die Quelle der Siddhis des Glücks. Es vertreibt geistige Verschmutzung und Aufruhr, es macht den Geist klar, löscht Stolz aus und ist die Wurzel von Respekt. Vertrauen ist der erhabene Reichtum, der erhabene Schatz und die erhabenen Beine und ist wie Hände um Tugend zu sammeln.“ – Ratnalokanamadharani-Sutra¹

Dann gibt es die Fünf Kräfte, die man braucht, um die Erleuchtung zu erlangen. Auch hier wird Vertrauen als Erstes genannt, dann kommen Achtsamkeit, Tatkraft, Konzentration und Weisheit.

Der Meister Atisa, der als einer der ersten indischen Meister in Tibet den Dharma unterrichtete, wurde einmal von seinem Schüler Dromtönpa gefragt, warum die Tibeter keine besonderen Verwirklichungen erreichten, obwohl sie meditierten und praktizierten. Seine Antwort war, man brauche „Vertrauen, Vertrauen, Vertrauen!“

Im Buddhismus unterscheiden wir drei Arten von Vertrauen: das läuternde, das überzeugte und das nach Verwirklichung strebende (oder anstrebende) Vertrauen.

Das erste, das läuternde Vertrauen, ist ein reiner Geisteszustand, der dadurch charakterisiert ist, dass man die Vorzüge in einem Objekt sieht, welches tatsächlich Vorzüge besitzt. Dadurch wird das Bewusstsein von dem „Schmutz“, Fehler in dieses Objekt hinein zusehen, gereinigt.

Objekte dieses Vertrauens sind Buddha, Dharma und Sangha; natürlich muss man sich von ihren Vorzügen und Qualitäten überzeugt und sie geprüft haben. Während das mangelnde Vertrauen in die Drei Juwelen mit Schlamm oder Schmutz verglichen wird, besteht das läuternde Vertrauen darin, dass spontane Bewunderung und Freude im Geist entstehen, wenn man von den Vorzügen der Drei Juwelen hört. Es handelt sich um das Gegenteil des Geisteszustandes, der Fehler mit den Drei Juwelen verbindet. Das läuternde Vertrauen ist daher ein reiner Geisteszustand, der nicht von Misstrauen beschmutzt ist.

Ein Edelstein kann verschmutztes Wasser reinigen. Sobald man einen Edelstein in schlammiges Wasser gibt, wird das Wasser gereinigt. Ebenso wird der Geist vom trübenden Schmutz des fehlenden Vertrauens geläutert, sobald das Vertrauen entsteht, das die Vorzüge im Objekt sieht. Damit ist die Möglichkeit gegeben, dass alle guten Eigenschaften auf dem Pfad heranwachsen können. Das wäre unmöglich, wenn man die Vorzüge des Objekts, beispielsweise der Drei Juwelen, nicht erkennen, sondern stattdessen Fehler darin sehen würde.

Wenn man in einer Person oder einer Lehre stets nur Fehler sieht und ihr gegenüber Misstrauen hegt, beraubt man sich der Möglichkeit, im Zusammenhang mit dieser Person oder Lehre etwas Vorteilhaftes zu erreichen. Wenn man aber die tatsächlich vorhandenen Vorzüge sieht und darüber Freude empfindet, ist der Geist frei von solchen Hindernissen. Damit ist die Grundlage daflir gegeben, dass sich weitere Tugenden im Geist entwickeln können.

Es hat eine tiefere Bedeutung, wenn in den buddhistischen Schriften das Sehen von Fehlern in dem Objekt, das in Wirklichkeit frei von diesen Fehlern ist, mit Schlamm im Wasser verglichen wird. Selbst wenn sich auf dem Grund des Wassers Gold oder Edelsteine befinden, bleiben sie unerkannt, solange sie vom Schlamm verdeckt sind. Erst wenn sich der Schmutz gelegt hat und das Wasser klar geworden ist, kann man die kostbaren Substanzen auf dem Grund sehen. Ähnlich verhält es sich, wenn man in einer Lehre oder in einer Person, die diese Lehre gibt, immer nur Fehler sieht. Solange dieser Bewusst seinszustand andauert, verhindert er, dass einem dieses Objekt nützen kann, selbst gute Eigenschaften zu entwickeln.

Die zweite Art ist das überzeugte Vertrauen. Es besteht darin, dass man aufgrund von Überlegungen eine Überzeugung von den Qualitäten des Vertrauensobjekts beziehungsweise von der Gültigkeit bestimmter Lehren hat. Es geht mit der Überzeugung einher, dass zum Beispiel die Lehre des Buddha über die Vier Wahrheiten, über das Gesetz von Karma und Wirkung oder über das Abhängige Entstehen tatsächlich gültig ist. Man hat über diese Themen nachgedacht und ist durch Begründungen zu der Überzeugung gekommen, dass es sich in Wirklichkeit so verhält, wie es der Buddha gelehrt hat.

In Abhängigkeit davon, dass man sich durch eingehende Untersuchung von der Fehlerfreiheit einer Lehre überzeugt hat, entsteht das Vertrauen, dass der Lehrer, der diese Lehre gegeben hat, glaubwürdig ist. So entwickelt sich durch das Vertrauen in die Gültigkeit einer Lehre auch größeres Vertrauen in die guten Eigenschaften desjenigen, der diese Lehre gegeben hat.

Die dritte Art ist das anstrebende Vertrauen. Dieses können wir beispielhaft auf die Vier Wahrheiten beziehen. Zuerst denkt man über die Vier Wahrheiten nach, wie sie der Buddha gelehrt hat. Dadurch erlangt man Gewissheit, dass die ersten beiden Wahrheiten - die Wahren Leiden und die Wahren Ursprünge aufzugeben sind, und dass die beiden letzten Wahrheiten - die Wahren Beendigungen und die Wahren Pfade zur Beendigung - ein Ziel sind, das man erreichen muss. Indem man diese Gewissheit erlangt, entwickelt sich die Entschlossenheit, dass man selbst dieses Ziel erreichen will. Diese Art des Vertrauens sieht also nicht nur die Vorzüge in dem Objekt des Vertrauens, sondern ist darüber hinaus mit dem starken Wunsch verbunden, selbst diese Vorzüge zu verwirklichen.

Aus diesem Grund spricht man vom anstrebenden Vertrauen.

Vertrauen auf verschiedenen Stufen

Der indische Meister Haribhadra (ca. 700–770) unterscheidet zwei Arten von Vertrauen und zwar in Bezug auf Personen mit höchsten und mit schwächeren geistigen Begabungen.

Das Vertrauen bei einer Person mit höchsten geistigen Fähigkeiten folgt dem Dharma, also der Lehre selbst. Einer solchen Person kommt es nicht darauf an, ob der Lehrer oder die Lehrerin berühmt oder wortgewandt ist. Der Fokus liegt auf dem, was gelehrt wird, entsprechend untersucht die Person die Lehre auf ihren eigentlichen Gehalt hin. Erst wenn sie mit korrekten Argumenten festgestellt hat, dass diese Lehre schlüssig und nützlich ist, entwickelt sie das Vertrauen dazu. So ein Vertrauen, das auf korrekten Begründungen basiert, ist unumstößlich. Es ist ein fundiertes, stabiles Vertrauen.

Das Vertrauen bei Personen mit schwächeren Geisteskräften folgt der Person, die etwas lehrt. Dieses Vertrauen basiert mehr auf Bewunderung oder Respekt dem Lehrenden gegenüber. Eine solche Person schenkt der Lehre vor allem deshalb Vertrauen, weil sie die Lehrerin oder den Lehrer bewundert, und nicht primär deshalb, weil sie die Inhalte mit korrekten Begründungen überprüft hätte.

Haribhadra weist darauf hin, dass es derjenige mit geringerer Geisteskraft leichter hat zu vertrauen, weil er nicht so viele Begründungen braucht. Allerdings ist dieses Vertrauen weniger stabil. Derjenige, der sein Vertrauen hauptsächlich auf die Lehre selbst richtet, hat es schwerer, Vertrauen hervorzubringen. Wenn er es aber gewonnen hat, bildet es eine stabile Grundlage für die Dharmapraxis.

Wo liegt nun der Unterschied zwischen Vertrauen und Mögen im Kontext des buddhistischen Weges? Mögen und Vertrauen sind hier nicht das Gleiche: Vertrauen ist ein Geistesfaktor, der seinem Wesen nach eindeutig heilsam ist. Hingegen gibt es sowohl heilsame als auch unheilsame Formen des Mögens.

Ein Zustand des Mögens, das kein Vertrauen im Sinne des Dharma ist, ist die Zuneigung zum Ehepartner und zu den eigenen Kindern. Auch die Vorliebe für Alkohol gehört dazu, die man in Tibet oft als „Vertrauen zum Alkohol“ bezeichnet. Tatsächlich aber ist diese Neigung kein Vertrauen im Sinne des Dharma, sondern nur eine weltliche, gewöhnliche Art des Mögens.

Auf der anderen Seite gibt es etwas, das zwar Vertrauen ist, aber nicht Mögen: das Vertrauen, das in der Überzeugung von den Leiden des Daseinskreislaufs besteht. Es handelt sich um ein Vertrauen, das davon überzeugt ist, dass der Daseinskreislauf tatsächlich die Nachteile in sich birgt, wie sie der Buddha erfahren und erklärt hat. Dieses Vertrauen geht mit einer Furcht vor den Leiden einher. Es handelt sich dabei nicht um einen Zustand der Freude und des Mögens, aber des Vertrauens. Natürlich gibt es etwas, das sowohl Vertrauen als auch Mögen ist, zum Beispiel das tiefe Vertrauen und die Zuneigung zum Buddha aufgrund seiner Vorzüge.

In einem Text wird folgende Etymologie des Wortes „Vertrauen“ erklärt: Das Sanskrit wort für Vertrauen ist sraddhä, dessen wörtliche Bedeutung mit Anstreben oder Wünschen zu tun hat. Demnach ist Vertrauen ein Geisteszustand, der mit dem Wunsch nach dem Objekt verbunden ist. Auf diesem Hintergrund ist verständlich, warum in den Schriften eine Differenzierung zwischen Vertrauen und Mögen vorgenommen wird.

Aus dem Tibetischen übersetzt von Christof Spitz.


¹ Das Zitat wurde dem Text für diese Online Version nachträglich hinzugefügt. Vertrauen bezieht sich im Buddhismus immer auf tatsächlich vorhandene Qualitäten, nicht auf projizierte oder vorgestellte Qualitäten. Der Buddha warnt ausdrücklich davor sich Menschen anzuvertrauen, denen es an Qualitäten mangelt.

Tenzin Peljor

GESHE THUBTEN NGAWANG (1932–2003) war 24 Jahre Geistlicher Leiter des Tibetischen Zentrums in Hamburg. Er konzipierte das Systematische Studium des Buddhismus, das 2013 mit einem 10. Lehrgang fortgesetzt wird.

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Dieses Inerview erschien in Tibet und Buddhismus, Heft 101 – 2/2012, Seiten 9–11.
© Tibet und Buddhismus. Mit freundlicher Genehmigung von Nicola Hernádi.

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